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Widerspruch bei abgelehntem oder zu niedrigem Pflegegrad

So stellst du einen begründeten Widerspruch bei der Pflegekasse

Lesedauer: 6 Minuten
Autor: Ella Rohrhirsch
Erstellt: 23.3.2023

Das Gutachten des Medizinischen Diensts (MD) oder MEDICPROOF ist die Grundlage für die Einstufung in einen Pflegegrad oder seine Ablehnung durch die Pflegekasse. Diese teilt dir ihre Entscheidung in Form eines schriftlichen Bescheids mit. Bist du damit nicht zufrieden, kannst du innerhalb von vier Wochen schriftlich Widerspruch dagegen einlegen. Diesen solltest du unbedingt begründen: Dafür lohnt sich ein genauer Blick auf das Gutachten und den Bescheid. Auf den Widerspruch kann die Pflegekasse mit einer Überarbeitung des Gutachtens, einer Wiederholungsbegutachtung oder einer Ablehnung reagieren.

1. Voraussetzungen für einen Widerspruch auf einen Pflegegrad

Um Widerspruch auf einen Pflegegrad einzulegen, musst du oder dein:e Angehörige:r ihn überhaupt beantragt haben – und dieser dann falsch, beziehungsweise nicht in dem Umfang, wie ihr es euch erhofft habt, bemessen werden. Grundlage dafür ist das Gutachten des Medizinischen Diensts (MD) oder bei Privatversicherten von MEDICPROOF, die nach einem Erstantrag auf Pflege zu einem vorab vereinbarten Termin vorbeikommen. Hier ermittelt der:die Gutachter:in anhand eines festgelegten, ausführlichen Fragenkatalogs, welcher Pflegegrad für dich oder deinen Angehörigen passend ist – und legt so auch fest, welche Pflegeleistungen dir oder euch künftig zustehen. Sein oder ihr Gutachten ist nämlich die Empfehlung für die Pflegekasse, auf deren Grundlage sie über den Pflegegrad und die damit verbundenen Pflegeleistungen entscheidet.

Diese Entscheidung wird dir oder deinem:r Angehörigen dann in einem schriftlichen Bescheid mitgeteilt – und du erfährst so, ob dein Pflegegrad bewilligt oder abgelehnt wurde.

2. Widerspruch Pflegegrad: So funktioniert er!

Bist du mit dem Bescheid der Pflegekasse nicht zufrieden oder hattest ein anderes Ergebnis erwartet, kann sich ein Widerspruch lohnen. Etwa, wenn dein Antrag auf Pflegebedürftigkeit abgelehnt wurde, du oder dein:e Angehörige:r in einen zu niedrigen Pflegegrad eingestuft wurde oder man im Falle einer erneuten Beguachtung über eine Rückstufung von einem höheren in einen niedrigeren Pflegegrad informiert wird. Das würde Fortschritte in der Selbstständigkeit bedeuten, die du vielleicht gar nicht wahrgenommen hast.

Dabei solltest du schnell handeln: Ab Eingang des Bescheids hast du genau einen Monat Zeit, dem Bescheid zu widersprechen. Um hier auf der sicheren Seite zu sein, kannst du dich an dem Datum orientieren, das auf dem Bescheid vermerkt ist. Fehlt auf deinem Bescheid übrigens der Hinweis, dass du die Möglichkeit hast, Widerspruch einzulegen, verlängert sich die Frist auf ein Jahr.

Den ersten Widerspruch musst du nicht begründen – was dir anhand des relativ knappen Zeitfensters in die Karten spielt. Schicke die Mitteilung am besten per Einschreiben mit Rückschein oder per Fax, von dem du einen Sendebericht aufbewahrst, der Pflegekasse zu. Natürlich kannst du sie auch persönlich in einer Niederlassung vorbeibringen – dann solltest du dir den Erhalt aber unbedingt quittieren lassen. Eine E-Mail reicht nicht aus. Im zweiten Schritt muss allerdings eine Begründung folgen, weshalb du dir gut überlegen solltest, ob der Widerspruch tatsächlich begründet ist – andernfalls wird es nämlich kaum möglich sein, mehr Pflegeleistungen herauszuholen.

Gut zu wissen: Nicht jede:r kann Widerspruch gegen einen Pflegegrad einlegen

Den Pflegegrad-Widerspruch muss der:die Versicherte persönlich und schriftlich verfassen. Ist er:sie dazu nicht in der Lage, dürfen sein:e Bevollmächtige:r, gesetzlich bestellte Betreuer:innen oder eine Pflegefachkraft bei ambulanter Pflege den Widerspruch schreiben.

3. Das passiert nach deinem Widerspruch

Hast du dich dafür entschieden, gegen die Einstufung in einen Pflegegrad und oder seine Ablehnung vorzugehen, bringst du mit deiner Widerspruchs-Mitteilung einen Prozess ins Rollen, an dessen Ende hoffentlich ein für dich befriedigenderes Ergebnis steht. So läuft er ab:

3.1 Gründe für deinen Widerspruch formulieren

Wie bereits erwähnt, solltest du zügig nach deiner ersten Mitteilung an die Pflegekasse die Begründung für deinen Widerspruch nachsenden. Dafür solltest du dir, falls er nicht ohnehin mit dem Bescheid der Pflegekasse mitgesendet wurde, unverzüglich das Gutachten vom Medizinischen Dienst oder von Medicproof anfordern. Um die Gründe für den Widerspruch zusammenzustellen, lohnt sich nämlich einerseits ein Blick auf das Gutachten und andererseits auf den Bescheid der Pflegekasse. Dabei zählt jedes Detail.

Das solltest du beim Gutachten hinterfragen

Bei seinem:ihrem Hausbesuch bekommt der:die Gutachter:in des MDs oder von Medicproof einen situativen Einblick. Damit basiert das Gutachten auf einer Momentaufnahme, die nicht der allgemeinen Situation entsprechen kann. Warst du oder dein:e Angehörige:r am Tag der Begutachtung beispielsweise außergewöhnlich fit, kann das als Grund für den Widerspruch zählen. Für die Untermauerung kann ein Pflegetagebuch hilfreich sein, in dem täglich festgehalten wird, in welchen Bereichen des Alltags Unterstützung gebraucht wird – und ob diese eventuell sogar von Dritten erbracht wird. Auch, ob alle Medikamentenpläne, Gesundheits- und Krankenhausberichte zum Zeitpunkt der Begutachtung vorlagen und in angemessenem Umfang beachtet wurden, lohnt sich, zu checken. Falls sie fehlten oder in der Zwischenzeit nicht mehr aktuell sind: Fordere sie umgehend an!

Was du bei deiner Begründung immer bedenken solltest: Die Pflegegrade sollen auf die Selbstständigkeit des:der Pflegebedürftigen einzahlen. Gerade, wenn du dich oder dein:e Angehörige:r sich auf der Schwelle zwischen zwei Pflegegraden befindet, solltest du das im Hinterkopf behalten. Auch wichtig zu bedenken: Zahlen die Gegebenheiten des Hauses oder der Wohnung, in dem du oder deine:r Angehörige:r lebt – etwa eine fehlende Treppe oder ein niedriger Duscheinstieg – auf einen niedrigeren Pflegegrad laut Gutachten ein, wären in einem anderen Lebensumfeld aber unüberwindbar?

Diese Punkte solltest du beim Bescheid der Pflegekasse checken

Allein die Nicht-Einhaltung von Formalitäten beim Bescheid der Pflegekasse kann einen Widerspruch rechtfertigen. Schaue deshalb einmal genau nach, ob diese Formfehler vorliegen:

  • Das Gutachten des MDs oder von Medicproof fehlt – und damit die Begründung für die Entscheidung der Pflegekasse.
  • Dem Dokument fehlt eine Originalunterschrift – oder ein Hinweis, dass es sich um einen maschinell erstellten Massenbescheid handelt.
  • Die Rechtsgrundlage und die Rechtshelfsbelehrung fehlen, ebenso der:die Absender:in.

Darüber hinaus können natürlich auch Rechenfehler passiert sein, also die Punkte der Begutachtung fehlerhaft zusammengezählt, falsch gewichtet oder am Ende einem falschen Pflegegrad zugeordnet worden sein. Rechne also unbedingt nach!

Auch kann es nicht schaden, sich mit anderen Betroffenen, die dieses Prozedere schon einmal durchlebt haben, auszutauschen und sich anhand ihrer Erfahrungen Tipps zu holen.

3.2 Rückmeldung der Pflegekasse

Nachdem du Widerspruch gegen die Entscheidung der Pflegekasse eingelegt hast, hat sie maximal drei Monate Zeit, darauf zu reagieren.

Innerhalb dieser drei Monate prüft die Pflegekasse ihren Bescheid auf die von dir entdeckten formalen und Rechenfehler. Diese könnte sie direkt korrigieren und dir direkt in Form eines neuen Bescheids zusenden. Auch könnten sie eine Wiederholungsbegutachtung bestimmen. Dafür muss deine Begründung plausibel und nachvollziehbar sein – es lohnt sich also, bei ihrer Zusammenstellung genau und detailliert vorzugehen.

Passiert innerhalb dieser zulässigen Bearbeitungsfrist nichts, kannst du Klage einreichen.

3.3 Zweitgutachten

Kündigt die Pflegekasse nach der Sichtung deines Widerspruchs eine Wiederholungsbegutachtung an, solltest du dich auch auf diesen zweiten Termin gut vorbereiten. Das bedeutet: Alle Dokumente, die seit dem ersten Hausbesuch hinzugekommen sind, sowie alle, die sie dort schon präsentiert haben, bereitlegen und auch die Gründe für den Widerpsuch vorliegen zu haben. Das bereits angesprochene Pflegetagebuch kann dir bei dem Termin ebenso helfen – führst du also noch keines, beginne umgehend damit. Unterstützen dich oder deine:n Angehörige:n Pflegekräfte, können sie auch gerne beim Zweitgutachten dabei sein.

Bitte beachte, dass die Pflegekasse den Widerspruch ablehnen oder bei ihrer Entscheidung bleiben kann – also bei der Einstufung in den ursprünglichen Pflegegrad oder der Ablehnung des Pflegegrads.

4. Klage

Verweigert die Pflegekasse den Widerspruch oder bleibt auch nach dessen Prüfung bei ihrer Entscheidung, kannst du Klage beim Sozialgericht einreichen. Diese ist per se kostenlos, allerdings solltest du dir hierfür unbedingt einen Rechtsbeistand zur Hilfe holen, , was im Zweifel recht teuer werden kann. Spätestens zu diesem Zeitpunkt solltest du dich auch um ein Gutachten eines unabhängigen Pflegesachverständigen kümmern.

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